künstlerische Anspruch versus Realität in der Musikkarriere

künstlerische Anspruch versus Realität in der Musikkarriere

Gestern Abend war ich mit meinem Mann und Sohn im Musiktheater in Gelsenkirchen. Wir waren in der Generalproben-Vorführung zu dem Rock-Musical von Jonathan Larson „Tick, Tick,.. Boom!“. Seltsamer Zufall, dass das Stück auch – wie dieser Blogbeitrag –  genau von dieser inneren Zerissenheit eines Musikers handelt. Diese Zerissenheit zwischen diesem Erwartungsdruck „es zu schaffen“, mehr Erfolg als Musiker zu haben und anderseits die graue und harte Realtität im Musikbusiness zu erleben, fernab von Glanz und Glammour.

 

Der künstlerische Anspruch eines Live-Musikers und die Realität von Live-Veranstaltungen

Wer einmal in die fesselnden Klänge und Melodien eines Live-Musikers eingetaucht ist, der kennt das überwältigende Gefühl, das einen in solchen Momenten überkommt. Die direkte Interaktion, die Energie, die zwischen Musiker und Publikum fließt, ist unersetzlich. Doch hinter dem Scheinwerferlicht und den eindrucksvollen Bühnenperformances steht oft ein Spagat zwischen künstlerischem Anspruch und der harten Realität von Live-Veranstaltungen, dem Bühnenleben und dem Musikbusiness.

Der künstlerische Anspruch in der Musikkarriere

Wir alle tragen als Musiker , unabhängig davon ob Anfänger oder Profi, eine künstlerische Vision mit uns. Diese Vision spiegelt den individuellen künstlerischen Anspruch wider, das eigene Können und die Botschaft, die vermittelt werden soll. Manchmal streben wir vielleicht auch danach, Musik in ihrer reinsten Form darzubieten, frei von Kompromissen und so nah wie möglich an der ursprünglichen Inspiration oder Idee.

Dieser künstlerische Anspruch ist oft (nicht immer) auch ein Treibstoff, der uns Künstler in der Musikkarriere antreibt. Menschen haben unterschiede Motivationen. Aber der künstlerische Anspruch motiviert dazu, ständig an sich zu arbeiten, die eigenen Fähigkeiten zu verfeinern und der Kunst treu zu bleiben. Ich z.B. musste allerdings lernen diesen Anspruch etwas niedriger anzusetzen. Wenn man nämlich zu hohe Ansprüche an sich selbst stellt – gerät man leicht in die Perfektionismus-Falle. Und Perfektionismus lähmt, blockiert – und zieht jede Arbeit vor Abschluss extrem (unnötig) in die Länge.

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Die Realität von Live-Veranstaltungen und Musikbusiness

Live-Veranstaltungen sind jedoch oft eine andere Geschichte. Hier treffen hohe Erwartungen auf technische Herausforderungen, begrenzte Probenzeiten, und nicht zuletzt auf verschiedene das unberechenbare Elemente wie Publikumserwartung, gesundheitliche Verfassung oder sogar Wetterlagen, die Bedingungen oder die Leistung der Performance vor Publikum beeinflussen.

Veranstaltungsorte können akustische Probleme aufweisen, technisches Equipment kann versagen, und manchmal sind die Bedingungen alles andere als optimal für eine erstklassige Performance. Hinzu kommt dann dieser Druck, das Publikum zu unterhalten und gleichzeitig dem eigenen künstlerischen Anspruch gerecht zu werden.

Und das Musikbusiness allgemein lässt sich auch nicht einfach nur auf das Bühnenleben reduzieren. Es ist weit mehr und vielschichtiger als die gängigen Klischees von „Managern“ , „Gatekeepern“ oder den Träumen, die ein Künstler verwirklichen will. Musikbusiness bedeutet auch „Business“. Es ist das Geschäft mit der Musik. Und wenn man in diesem Business, in der Musikkarriere weiterkommen will, muss man lernen dieses Geschäft mit der Musik erfolgreich zu spielen. Man sollte lernen sich als Musiker zu verkaufen. Diese Kompetenz zu vermitteln ist einer der Ziele meiner Beratung als Musiker Coach und meinem Musiker Marketing Grundkurs.

 

Der Spagat zwischen Traum und Wirklichkeit

Vor wenigen Wochen habe ich dazu ein interessantes Interview von Juli 23 mit der ehemaligen DSDS-Gewinnerin Elli Erl auf Web.de  gelesen. Sie sagte in diesem Interview über ihre Musikkarriere: „Damals fand ich das schon schade und ich habe alles dafür getan, dass es irgendwie weitergeht. Ich habe danach sechs Jahre lang von der Musik gelebt. Aber es ist wahnsinnig schwer, wenn man diesen DSDS-Stempel hat: Radiostationen spielen deswegen deine Songs nicht; man kommt nicht ins Vorprogramm von größeren Bands, dass man mal wieder auf Tour gehen kann; Clubbesitzer lassen einen nicht spielen. Es ist dieses Wegwischen: Das nächste Jahr geht gleich wieder eine neue Staffel los und dann ist jemand anders plötzlich interessanter.“ Und genau deswegen sollte man als Musiker wirklich genau überlegen ob es wirklich so ein attraktives Ziel ist, in diesem TV-Format mitzumachen.

 

Es ist auch dieser Spagat, der uns als Live-Musiker oftmals vor große Herausforderungen stellt. Wie bleibt man seiner Kunst treu, wenn die Umstände nicht perfekt sind? Wie stellt man sicher, dass die Botschaft trotz technischer Pannen oder unerwarteter Zwischenfälle beim Publikum ankommt?

Die Antwort liegt oft in der Anpassungsfähigkeit und Resilienz des Künstlers. Als eine erfahrene Live-Musikerin weiß ich, dass Flexibilität und schnelles Denken genauso wichtig sind wie Talent und Vorbereitung. Es geht darum, die unvermeidlichen Unwägbarkeiten von Live-Veranstaltungen zu akzeptieren und sie als Teil des kreativen Prozesses zu sehen. Und dann muss man eben versuchen das bestmögliche daraus zu machen – auch wenn das nicht immer einfach ist.

 

Mein Mann und ich mussten das Stück leider vorzeitig verlassen – unser Sohn Timon wurde gegen Ende einfach zu müde.  Das Stück war übrigens wirklich klasse! Ich ärgere mich tatsächlich etwas, das Ende nicht mitbekommen zu haben. Ich weiss also nicht, wie das Stück endet. Aber vielleicht steht genau das exemplarisch für folgende Gedanken. Wir sind als Künstler und Musiker am Ende selber „unseres Glückes Schmied“ .Wir haben wesentlichen Einfluss und auch viel Macht dazu, was wir aus unserer Situation als Künstler und Musiker machen. Natürlich sind die Chancen von Zeit zu Zeit hoch nicht genug Aufträge oder Auftritte zu haben. Aber eines weiss ich: Niemand muss dem Klischee des brotlosen und armen Künstlers entsprechen! Unsere Preise bestimmen wir auch selbst – und den Erfolg oder Misserfolg auch! Das man selbst verantwortlich für seinen Erfolg ist , war mir vielleicht vom Wissen her klar – aber eine viel zu lange Zeit habe ich selber mit  angezogener Handbremse gelebt und habe anderen Menschen das Ruder überlassen. Genau dadurch wurde mir auch hinterher klar wie sehr die eigene Persönlichkeit  – oder die Art der Persönlichkeit –  den eigenen Erfolg als Musiker bzw. die Musikkarriere beeinflusst.

 

Eigentlich schreibe ich ja keine Musical-Rezensionen. Aber dieser Inszenierung von dem Musical „Tick, Tick,… Boom!“ im Musiktheater Gelsenkirchen würde ich persönlich 5 von 5 Sternen geben! Es war kurzweilig, wirklich unterhaltsam und knackig erzählt mit erstklassiger Gesangs-Performance und Musik. Durch die schwungvolle , dennoch detailreiche Erzählweise , waren mir die ganzen Klischees über die Künstlerwelt auch egal. Jemand muss mir das Ende erzählen! Ich möchte es wirklich wissen.

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